Das Pariser Sommermärchen

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Frankreich erlebte 2024 mit den Olympischen Spielen in Paris ein sportliches Sommermärchen: ausgelassene Stimmung, begeisterte Zuschauer*innen, weltweites Interesse. Aber nicht alle Versprechen konnten die Organisatoren einlösen. Ein Rückblick. 

Eiffelturm mit olympischen Ringen

Wenn es überhaupt noch irgendwelche Zweifel daran gab, dass Paris einzigartig und atemberaubend schön ist, dann wurden diese spätestens in mit den Olympischen und Paralympischen Sommerspielen 2024 ausgeräumt. Was Frankreichs Hauptstadt der Welt zwischen Eröffnungsfeier und der Schlusszeremonie der Paralympics dargeboten habt, konnte sich nicht nur sehen lassen, sondern hat Maßstäbe für internationale, sportliche Großereignisse gesetzt, so lautete fast einhellig das internationale Medienecho. Alles begann mit einem grandios gewagtem, prunkvoll provokanten Auftakt, einer vom Künstler Thomas Jolly inszenierten Zeremonie, die sich zum ersten Mal in der olympischen Geschichte nicht mit einem Stadion begnügte, sondern über die ganze Stadt erstreckte. Und auch wenn aus konservativ-rechten und religiösen Kreisen Kritik an einigen Szenen der Show geäußert wurden, denen man Blasphemie vorwarf, wird dieser Moment bei Millionen Menschen im Gedächtnis bleiben. Dabei schien es am Morgen des 26. Juli zunächst noch so, als hätten sich die schlimmsten Befürchtungen der Organisator*innen bestätigt, da eine Sabotageaktion auf Zugstrecken im Land mehrere hunderttausende Reisende blockierte. Am Ende blieb dieser Angriff, der ultralinken Gruppen zugerechnet wurde, die einzige bedeutsame Störung der Spiele. 

Viele Pariser*innen selbst allerdings waren da längst schon in die Ferien gereist und sahen dem Spektakel, das eigentlich vor ihrer Haustür stattfand, aus der Ferne zu. Vielleicht nicht immer ohne eine gewisse Wehmut und Sehnsucht, auch weil das befürchtete Verkehrschaos, die Streiks, der Massenandrang ausgeblieben sind, auf Grund dessen viele die Flucht ergriffen hatten. Éric Monnin, Experte in Olympiafragen und Direktor des Recherchezentrums für Olympische Studien am Lehrstuhl der Universität Franche-Comté (CEROU) hatte im Podcast der Böll-Stiftung „Menschen, Medaillen und Milliarden – Olympia in Paris“ im Frühjahr vorausgesagt, die Stadt werde ihre Versprechen, grüne und nachhaltige Spiele zu organisieren, halten können. Er sagte voraus, die Pariser*innen würden überrascht sein vom Spirit, der guten Stimmung, der ansteckenden Freude, die er in anderen Städten in der Vergangenheit erlebt hatte. „Es hat sich gezeigt, dass viele zu den Paralympischen Spielen gingen, weil sie die Olympischen verpasst hatten. Wie ein Versuch, das Versäumte aufzuholen. Mit 97% Auslastung waren die Paralympischen Spiele sogar besser besucht als die Olympischen (92%).“ Ihn hat bei den Spielen besonders die sportliche Exzellenz überzeugt, die man bei all den Diskussionen und der Kritik am Mega-Event beinahe vergessen hatte. „Die sportlichen Leistungen waren mitunter überragend, haben das beeindruckende internationale Niveau in den Disziplinen gezeigt.“ Darüber hinaus begeisterte ihn die Einbindung der städtischen Architektur in die Wettbewerbe. „Paris hat ein touristisches Erlebnis geschaffen und hat sein kulturelles Erbe hervorragend in Szene gesetzt.“ Allerdings sieht der Experte auch Widersprüche zwischen Anspruch und symbolischer Umsetzung: „Bei der Abschiedsfeier brauste Tom Cruise auf einem knatternden Motorrad davon und stieg anschließend in ein Flugzeug. Eine verheerende Botschaft dieser Spiele, die besonders grün und nachhaltig sein wollten.“ Im Vorfeld hatte Monnin sich auch mit der Rolle von Coca-Cola, dem Hauptsponsor, auseinandergesetzt, der für die Finanzierung der Spiele fast unverzichtbar sei, von dem man allerdings heute auch verlangt, sich den neuen Umweltzielen anzupassen. Laut Recherchen von Le Monde allerdings, betrieb gerade Coco-Cola während Paris 2024 ein immenses Greenwashing. Nun hat der Verein France Nature Environnement (FNE) entsprechend Klage gegen das Unternehmen eingereicht, das Kunden getäuscht habe, weil es sein Flagship-Getränk überwiegend aus Plastikflaschen in Mehrwegbecher umgefüllt habe. 13 Millionen Plastikbecher waren für die durstigen Besucher der Spiele produziert worden, von denen die meisten nicht recycelt worden seien. Statt der im Jahre 2018 versprochenen Reduzierung von Plastik um 20%, sei dessen Aufkommen noch um 6% gestiegen. Das IOC, das Internationale Olympische Komitee, allerdings wird auch weiterhin wie schon seit 100 Jahren an Coca-Cola festhalten, die Verträge laufen aktuell bis 2032. Auf der offiziellen Sponsorenseite des Komitees heißt es: „Das Getränkeunternehmen Coca-Cola verfolgt die Mission, die Welt mit erfrischenden Getränken zu versorgen und Veränderungen zu bewirken.“ Welche Veränderungen das sein soll, wird nicht gesagt. 

Politik und Paralympics-Fieber 

Neben dem Greenwashing sehen Kritiker*innen noch eine besorgniserregende Tendenz: Der legitime, demokratische Protest gegen die Spiele sei nahezu unmöglich gemacht worden. Das Polizeiaufgebot, die Sicherheitsmaßnahmen rund um die Spiele, die Einschüchterung von Gegner*innen. All das habe kein gutes Licht auf Frankreich geworfen, sagt der Journalist Guy Pichard. „Aktivist*innen wurden regelrecht mundtot gemacht. Und der Präsident hat das demokratische Leben eingefroren, weil er die Spiele für eine politische Pause nach den kurz vorher anberaumten Parlamentswahlen genutzt hat.“ Auch die Opposition beklagt, Macron schinde Zeit, um seine eigene politische Strategie durchzusetzen. Tatsächlich war das linke Parteienbündnis Nouveau Front populaire (NFP) siegreich aus den anberaumten Neuwahlen hervorgegangen und forderte unverzüglich die Berufung eines Premierministers oder Premierministerin aus den eigenen Reihen. Doch mit der Ernennung der inzwischen gescheiterten mitte-rechts Regierung unter Michel Barnier, schlug Macron alle Forderungen der NFP in den Wind. Genutzt hat die olympische Feuerpause auf dem politischen Schlachtfeld also wenig. 

Aber auch ohne die innenpolitischen Verwerfungen in Frankreich waren die Spiele politisch aufgeladen. Neben der besonderen Situation für russische und belarussische Athlet*innen, die unter neutraler Flagge antreten mussten, überschattete auch der Nahost-Konflikt die Spiele. Lukas Aubin, Politologe am Institut de Relations Internationales et Stratégiques (IRIS) und Experte für die politische Dimension des Sports resümiert: „Es gab einige symbolische Vorkommnisse, so die afghanische Sportlerin Talash (Break-Dance), die mit einem hellblauen Umhang mit der Aufschrift „Free Afgan Women“ auftrat und disqualifiziert wurde. Oder die algerische Boxerin Imane Khelif, der von einflussreichen Personen vorgeworfen wurde, biologisch keine Frau, sondern ein Mann zu sein. Der umstrittene Präsident des Internationelen Boxverbands, Umar Kremlew, warf dem IOC und dem Westen vor, „LGBTQ-Propaganda“ zu verbreiten. Auch die Eröffnungsfeier war in dieser Hinsicht ein Politikum, da die Inszenierung ein diverses Bild der französischen Gesellschaft gezeigt hat, von einigen aber als degeneriert gebrandmarkt wurde. Hier hat Frankreich im Vergleich zu jüngeren Spielen in China oder Russland wirklich ein avantgardistisches Zeichen gesetzt. Und in mancherlei Hinsicht, wie der Geschlechterparität unter den Athlet*innen wird das IOC nicht mehr zurückrudern können. Das wird bleiben.

Auch beim Versuch, ein Giga-Event möglichst klimafreundlich zu gestalten, hat Paris in einigen Bereichen Maßstäbe gesetzt, auch wenn Olympische Spiele immer viel Umweltverschmutzung verursachen werden. Und schließlich die Paralympics, die in Paris ein Rekord an  Begeisterung und Sichtbarkeit erhalten hatten. Und auch wenn die Organisator*innen sagen, aus ganz vielen Gründen sei das unmöglich, ich bin fest davon überzeugt, dass beide Spiele gleichzeitig stattfinden sollten.“ Für Los Angeles 2028 gibt es also einiges zu tun.